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Allgemeinverbindliche Tarifverträge

Tarifnormen können durch eine Allgemeinverbindlicherklärung nach dem Tarifvertragsgesetz, durch eine Rechtsverordnung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz oder durch eine Rechtsverordnung nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verbindlich angeordnet werden. Daraus folgt, dass auch die nicht an den Tarifvertrag gebundenen Arbeitgeber und ihre Beschäftigten im Geltungsbereich des Tarifvertrags daran gebunden sind. Die verschiedenen Arten der verbindlichen Anordnung von Tarifnormen, ihre Wirkung sowie Besonderheiten werden hier erläutert. Das Verzeichnis der für allgemeinverbindlichen Tarifverträge enthält eine nach Branchen geordnete Übersicht der betroffenen Tarifverträge.

Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes einen Tarifvertrag im Einvernehmen mit einem aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bestehenden Ausschuss (Tarifausschuss) auf gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien unter bestimmten Voraussetzungen für allgemeinverbindlich erklären.

Das Recht zur Allgemeinverbindlicherklärung kann vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf die oberste Arbeitsbehörde eines Landes übertragen werden. Die Entscheidung über die Allgemeinverbindlicherklärung erfolgt in diesen Fällen durch das beauftragte Landesministerium. Die Allgemeinverbindlicherklärung kann nur mit einem zustimmenden Beschluss des Tarifausschusses ausgesprochen werden.

Mit der Allgemeinverbindlicherklärung erfassen die Rechtsnormen des Tarifvertrags in seinem Geltungsbereich auch die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das bedeutet, der Tarifvertrag ist auch für Arbeitgeber, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbindlich, die nicht bereits als Mitglieder der den Tarifvertrag abschließenden Verbände bzw. Gewerkschaften oder auf andere Weise tarifgebunden sind.

Die Allgemeinverbindlicherklärung gilt nur für den bestimmten Tarifvertrag, für den sie ausgesprochen wird und nicht etwa für alle bestehenden Tarifverträge eines Tarifbereichs.

Die Allgemeinverbindlichkeit endet mit dem Ablauf (Kündigung oder Außerkrafttreten) des Tarifvertrags. Ein beendeter allgemeinverbindlicher Tarifvertrag kann weiterhin Wirkung entfalten, sofern eine Nachwirkung nicht durch den Tarifvertrag selbst oder die Allgemeinverbindlicherklärung ausdrücklich ausgeschlossen wurde: § 4 Absatz 5 des Tarifvertragsgesetzes gilt entsprechend auch für die Allgemeinverbindlicherklärung. Danach gelten die Tarifnormen für Arbeitsverhältnisse, die bis zum Ablauf des Tarifvertrags begründet worden sind, auch nach dem Ende des Tarifvertrags weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Eine "andere Abmachung" braucht kein Tarifvertrag zu sein; es kann sich dabei auch um eine Betriebsvereinbarung oder einen Einzelarbeitsvertrag handeln. Die Nachwirkung der Allgemeinverbindlicherklärung besteht für die nicht tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse auch dann weiter fort, wenn für die durch Mitgliedschaft bei den Tarifvertragsparteien gebundenen Arbeitgeber und Beschäftigten bereits ein neuer Tarifvertrag abgeschlossen wurde, dieser aber nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden ist.

Rechtsverordnungen nach §§ 7, 7a des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann nach §§ 7, 7a des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes die Rechtsnormen eines Tarifvertrags durch eine Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrats für alle Arbeitgeber, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Geltungsbereich des Tarifvertrags verbindlich anordnen. Voraussetzung ist auch hier ein gemeinsamer Antrag der Tarifvertragsparteien. In bestimmten Fällen ist vor dem Verordnungserlass der Tarifausschuss zu befassen.

Nicht jeder Tarifvertrag und nicht jede Tarifnorm kann auf diese Weise verbindlich gemacht werden. Der Tarifvertrag muss bundesweit gelten. Gegenstand der Verordnung können nur die Arbeitsbedingungen sein, die nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz erstreckt werden dürfen. In der Regel handelt es sich um Mindestentgeltregelungen für eine Branche. Die Mindestentgeltsätze können nach Art der Tätigkeit, Qualifikation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und nach Regionen unterschiedlich geregelt sein. Auch bestimmte Regelungen den Urlaub betreffend können erfasst sein.

Die Rechtsverordnungen werden entsprechend der Laufzeit des Tarifvertrags befristet ausgesprochen. Ihre Wirkung endet für nicht tarifgebundene Arbeitsverhältnisse mit dem Ablauf der Rechtsverordnung.

Bei der Rechtsverordnung nach § 11 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, mit der Mindestarbeitsbedingungen für die Pflegebranche festgelegt werden, werden keine Regelungen eines Tarifvertrags erstreckt. Grundlage dieser Rechtsverordnung ist der Beschluss der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales einberufenen Pflegekommission.

Rechtsverordnung nach § 3a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes

Für Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen mit Mitgliedern, die in der Arbeitnehmerüberlassung tätig sind und die sich auf bundesweit tarifliche Mindeststundenentgelte im Bereich der Leiharbeit geeinigt haben, besteht mit § 3a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes eine eigenständige Regelung. Die Tarifparteien können beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales gemeinsam vorschlagen, diese Lohnuntergrenze in einer Rechtsverordnung ohne Beteiligung des Bundesrats verbindlich festzuschreiben. Vor dem Verordnungserlass ist der Tarifausschuss zu befassen. Auch diese Verordnung ist in ihrer Geltungsdauer befristet.

Tarifgestützte zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und in Deutschland beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

Alle Arbeitgeber, unabhängig von ihrem Sitz im Inland oder im Ausland, müssen ihren in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Arbeitsbedingungen gewähren, die in Deutschland allgemein durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festgelegt sind. Hierzu gehören auch die in den Rechtsverordnungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz bzw. nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verbindlich festgelegten tariflichen Mindestarbeitsbedingungen.

Auch bestimmte Arbeitsbedingungen, die in nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen enthalten sind, sind nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz von Arbeitgebern mit Sitz im Ausland für ihre in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zwingend einzuhalten. Hierbei handelt es sich um Regelungen über Mindestentgelte, bestimmte Entlohnungsbestandteile, Überstundenzuschläge, Urlaubsansprüche, Urlaubskassenverfahren, Anforderungen an Unterkünfte, Höchstarbeits- und Mindestruhezeiten, Arbeitsschutzvorschriften, Nichtdiskriminierungsbestimmungen sowie Zulagen oder Kostenerstattungen zur Deckung der Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten. Die allgemeinverbindlichen Tarifverträge müssen bundesweit gelten bzw. zusammengefasst räumlich das gesamte Bundesgebiet abdecken.

Zusätzlich sind die weiteren in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen enthaltenen Arbeitsbedingungen einzuhalten, wenn die Beschäftigung der von Arbeitgebern mit Sitz im Ausland nach Deutschland entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über zwölf bzw. 18 Monate in Deutschland hinausgeht. Ausgenommen sind lediglich die Verfahrens- und Formvorschriften und Bedingungen, die den Abschluss oder die Beendigung des Arbeitsverhältnisses betreffen, einschließlich nachvertraglicher Wettbewerbsverbote sowie die Vorschriften über die betriebliche Altersversorgung. Maßgebend sind die Arbeitsbedingungen, die am Beschäftigungsort gelten. Auf eine bundesweite Geltung des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags kommt es damit nicht an.

In Deutschland sind die Zollbehörden für die Überwachung der Einhaltung der Pflichten im Zusammenhang mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zuständig. Über die von Arbeitgebern mit Sitz im In- und Ausland in Deutschland einzuhaltenden Arbeitsbedingungen informiert die nationale Internetseite zum Thema Entsendung der Zollverwaltung. Die dort eingestellten allgemeinverbindlichen Tarifverträge umfassen nur die Tarifverträge, die auch Arbeitsbedingungen enthalten, die von ausländischen Arbeitgebern bei Beschäftigung in Deutschland einzuhalten sind. Allgemeinverbindliche Tarifverträge mit Regelungen, die nicht vom Arbeitnehmer-Entsendegesetz erfasst sind (z. B. betriebliche Altersversorgung) oder für Personenkreise, die keine Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes sind (z. B. Auszubildende), werden dort nicht vorgehalten. Diese Tarifverträge sind in dem Verzeichnis der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales enthalten.

Tarifvertragliche Sozialkassen

Sozialkassen sind gemeinsame Einrichtungen von Tarifvertragsparteien. Auf der Grundlage von allgemeinverbindlichen Tarifverträgen sind alle Arbeitgeber bzw. Betriebe in bestimmten Wirtschaftszweigen verpflichtet, an den Sozialkassenverfahren ihrer Branche teilzunehmen. Die Arbeitgeber sowie die Beschäftigten in diesen Branchen erhalten die nach den Sozialkassentarifverträgen vorgesehenen Leistungen; die Arbeitgeber haben außerdem die festgesetzten Beiträge abzuführen. § 5 Absatz 1a des Tarifvertragsgesetzes sieht für die Allgemeinverbindlicherklärung dieser Tarifverträge erleichterte Voraussetzungen vor, um die Funktionsfähigkeit der Sozialkassenverfahren und insbesondere die Leistungsansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum Beispiel durch eine schwankende Tarifbindung in der Branche nicht zu gefährden.

Sozialkassenverfahrensicherungsgesetze

Das Bundesarbeitsgericht hat in den Jahren 2016 und 2017 die Unwirksamkeit von Allgemeinverbindlicherklärungen von Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes festgestellt, u.a. deshalb, weil eine zustimmende Befassung der Leitung des jeweils zuständigen Ministeriums nach Aktenlage nicht erfolgt ist. Mit Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz (SokaSiG) vom 16. Mai 2017 (BGBl. I S. 1210) wurden die allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge, die dem Sozialkassenverfahren im Baugewerbe in den fraglichen Zeiträumen zugrunde lagen, beginnend mit dem 1. Januar 2006 kraft Gesetzes mittels statischer Verweisung für alle Arbeitgeber verbindlich angeordnet. Mit dem Zweiten Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz (SokaSiG2) vom 1. September 2017 (BGBl. I S. 3356) wurde eine entsprechende Regelung für weitere, von den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts betroffene Sozialkassentarifverträge in anderen Branchen getroffen. Die Gesetze sind zum Teil noch heute eine eigenständige Rechtsgrundlage für die Sozialkassenverfahren. Die in dem Verzeichnis der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge enthaltenen Tarifverträge, die Gegenstand der Sozialkassenverfahrensicherungsgesetze sind, sind dort entsprechend gekennzeichnet.