Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) ist ein umfassendes Gesetzespaket, das in vier zeitversetzten Reformstufen bis 2023 in Kraft tritt und das für Menschen mit Behinderungen viele Verbesserungen vorsieht. Mit dem BTHG wurden mehr Möglichkeiten der Teilhabe und mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen geschaffen. Menschen mit Behinderungen, die Eingliederungshilfe beziehen, können mehr von ihrem Einkommen und Vermögen behalten.
Gleichzeitig werden die Kommunen und Länder entlastet, da Grundsicherungs- und Eingliederungshilfeleistungen getrennt sowie teilweise vom Bund übernommen werden.
Maßnahmen und Ziele des Bundesteilhabegesetzes
Die Grafik des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales beschreibt die Maßnahmen und Ziele des Bundesteilhabegesetzes, welche sich wie folgt zusammensetzen:
- Frühzeitige Intervention: Staatliche Stellen müssen früher verhandeln und neue Modellvorhaben sollen Erwerbsunfähigkeit verhindern, damit chronische Erkrankungen gar nicht erst entstehen und Erwerbsfähigkeit erhalten bleibt.
- Verfahren: Ein Reha-Antrag reicht zukünftig aus, um Rehaleistungen bei verschiedenen Trägern zu erhalten, damit die individuelle Unterstützung im Mittelpunkt steht und nicht wer dafür zuständig ist.
- Beratung: Unabhängige Beratungsstellen leisten Hilfe zur Selbsthilfe, damit Menschen mit Behinderung in der Lage sind, mehr selbst zu bestimmen.
- Eingliederungsleistungen: Z.B. ein Budget für Arbeit schafft neue Übergänge in Arbeit und neue Assistenzleistungen wie im Masterstudium werden möglich, damit Bildung, Arbeit und soziale Teilhabe besser möglich wird.
- Schwerbehindertenvertretung: Mehr Rechte und Ansprüche für Schwerbehindertenvertretungen in Unternehmen und Werkstätten, damit Menschen mit Behinderung mehr mitbestimmen können.
- Systemwechsel: Die Eingliederungshilfe wird aus der Sozialhilfe herausgelöst und die Einkommens- und Vermögensrechnung deutlich verbessert, damit mehr vom eigenen Einkommen bleibt und Partner nicht mehr mitbezahlen müssen.
- Qualitätskontrolle: Durch bessere Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen sowie Sanktionsmöglichkeiten können Leistungsträger besser gesteuert werden, damit Leistungen auch erbracht und eine gute Qualität sichergestellt werden kann.
Früh handeln.
Das BTHG verpflichtet die Träger von Reha-Maßnahmen (wie z.B. die Bundesagentur für Arbeit oder die gesetzliche Rentenversicherung), frühzeitig drohende Behinderungen zu erkennen und gezielt Prävention noch vor Eintritt der Rehabilitation zu ermöglichen. Ziel ist es, bereits vor Eintritt einer chronischen Erkrankung oder Behinderung durch geeignete präventive Maßnahmen entgegenzuwirken und die Erwerbsfähigkeit zu erhalten. Zur Unterstützung dieser gesetzlichen Pflicht hat das BMAS im Mai 2018 das Bundesprogramm "Innovative Wege zur Teilhabe am Arbeitsleben – rehapro" mit dem ersten Förderaufruf gestartet. Antragsteller sind Jobcenter und/oder Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Das Ziel des Bundesprogramms rehapro ist es, aus den Modellprojekten neue Erkenntnisse zu innovativen Ansätzen zu gewinnen, die dann allen Betroffenen zugutekommen sollen. Zur Umsetzung des Bundesprogramms rehapro stehen bis 2026 Mittel in Höhe von rund 1 Milliarde Euro zur Verfügung.
Psychische Störungen, insbesondere Depressionen, führen häufig zum Bezug von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Modellprojekte können dabei helfen, spezielle, auf die Bedürfnisse psychisch erkrankter Menschen ausgerichtete Leistungen zu entwickeln, um bei den Betroffenen die Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen und somit eine Rückkehr auf den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Reha einfach machen. Leistungen wie aus einer Hand.
Ein einziger Reha-Antrag ist ausreichend, um ein umfassendes Prüf- und Entscheidungsverfahren in Gang zu setzen, auch wenn es bei den unterschiedlichen Zuständigkeiten von Sozialamt, Jugendamt, Rentenversicherung, Bundesagentur für Arbeit, Unfall- und Krankenkasse bleibt. Dafür sind die Regelungen zur Zuständigkeit und zur Einführung eines trägerübergreifenden Teilhabeplanverfahrens für alle Rehabilitationsträger gesetzlich definiert worden.
Ist ein Mensch mit Gehbehinderungen z. B. auf einen Rollstuhl angewiesen und benötigt zudem noch Assistenzleistungen, wurden in der Vergangenheit vielfach zwei Leistungen bei zwei unterschiedlichen Stellen beantragt; der Rollstuhl bei der Krankenkasse und die Assistenzleistung, z. B. ein Fahrdienst, bei dem Träger der Eingliederungshilfe. Nun genügt ein Antrag für beide Leistungen bei lediglich einem der beiden Träger, der die Leistungen in einem Teilhabeplan zusammenführen und abstimmen muss. Das bedeutet für die Betroffenen eine erhebliche Erleichterung und Zeitersparnis.
Ergänzend unabhängig beraten.
Orientierungs-, Planungs- und Entscheidungshilfe zu Fragen der Rehabilitation und Teilhabe und das bereits im Vorfeld der Beantragung konkreter Leistungen ermöglicht ein vom Bund gefördertes träger- und leistungserbringerunabhängiges Netzwerk von Beratungsangeboten für Menschen mit (drohenden) Behinderungen und deren Angehörige. Das Besondere: Die Beratung erfolgt von Betroffenen durch Betroffene unter Nutzung der Beratungsmethode des "Peer Counseling" und stärkt deren Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Mit dem Gesetz zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe (kurz: "Angehörigen-Entlastungsgesetz") wurde die Weiterführung und Aufstockung der bisherigen Projektfinanzierung mit einem Finanzierungsvolumen ab 2023 von 65 Mio. Euro jährlich beschlossen, wodurch Ratsuchende eine Perspektive in Bezug auf den Fortbestand niedrigschwelliger, qualifizierter Beratung zu Fragen der Rehabilitation und Teilhabe über 2022 hinaus erhalten.
Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige wissen am besten, welche Unterstützung sie benötigen. Durch die unabhängige Beratung von Betroffenen für Betroffene können eigene Erfahrungen weitergegeben und somit individuelle Lösungsansätze gefunden werden.
Weitere Informationen siehe www.teilhabeberatung.de.
Mehr Teilhabe. Mehr Möglichkeiten.
Durch das Bundesteilhabegesetz werden die Möglichkeiten der Teilhabe am Arbeitsleben, der Teilhabe an Bildung und der Sozialen Teilhabe verbessert.
Bessere Teilhabe am Arbeitsleben wurde für Menschen mit Behinderungen durch die Zulassung anderer Leistungsanbieter und die Einführung des Budgets für Arbeit sowie des Budgets für Ausbildung ermöglicht. Jeder Mensch mit Behinderungen soll entsprechend seines individuellen Leistungsvermögens durch passgenaue Leistungen und Förderung die für ihn größtmögliche Teilhabe am Arbeitsleben erreichen.
Menschen mit Behinderungen haben so die Möglichkeit, ihre Arbeitskraft entweder auf dem freien Arbeitsmarkt, bei einem anderen Leistungsanbieter oder in einer Werkstatt für behinderte Menschen einzusetzen.
Zudem wird in einem eigenen Kapitel klargestellt, dass die Teilhabe an Bildung eine eigene Leistungsgruppe ist. Als Leistungen zur Teilhabe an Bildung können auch schulische oder hochschulische Weiterbildungen für einen Beruf gefördert werden. Im Rahmen der Eingliederungshilfe ist somit z. B. die Übernahme der behinderungsbedingten Kosten für eine Meisterfortbildung oder ein Masterstudium möglich. Darüber hinaus schließen für den Bereich der Eingliederungshilfe die Leistungen zur Teilhabe an Bildung schulische Ganztagsangebote mit ein.
Bisher bestehende Hindernisse für das Erreichen höherer Schulabschlüsse werden durch die Leistungen zu Teilhabe an Bildung abgebaut. Während eines Masterstudiums können z. B. Assistenzleistungen, wie eine Begleitung für sehbehinderte Menschen, in Anspruch genommen werden.
Die Leistungen zur Sozialen Teilhabe wurden neu strukturiert, ergänzt und konkretisiert. Dadurch werden die Möglichkeiten einer individuellen und den persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung weiter gestärkt. Assistenzleistungen, die eine selbstbestimmte Alltagsbewältigung ermöglichen, werden in einem eigenen Leistungstatbestand konkret benannt. Dazu gehören auch Leistungen, die Mütter und Väter mit Behinderungen bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder benötigen (Elternassistenz).
Wer Unterstützung im Haushalt benötigt, hat eventuell einen Anspruch auf einen Assistenten. Dies steht nun erstmals konkret im Gesetz, was zu mehr Rechtssicherheit und Rechtsklarheit führt.
Mehr Selbstbestimmung.
Die Eingliederungshilfe für Menschen mit erheblichen Teilhabeeinschränkungen ist nicht mehr Teil des Fürsorgesystems der Sozialhilfe, sondern Bestandteil des Teilhaberechts in Teil 2 des Sozialgesetzbuchs IX Die Leistungen der Eingliederungshilfe orientieren sich somit nicht mehr.an einer bestimmten Wohnform, sondern ausschließlich am individuellen Bedarf. Daher werden die Fachleistungen der Eingliederungshilfe von den Leistungen zum Lebensunterhalt getrennt finanziert. Das Wunsch- und Wahlrecht der Menschen mit Behinderungen ist vor allem hinsichtlich der Wohnform erheblich gestärkt worden.
Menschen mit wesentlichen Behinderungen können freier entscheiden, wo sie leben wollen und von wem sie welche Leistungen in Anspruch nehmen. Auch Bewohner in besonderen Wohnformen (bis 2020 "stationäre Einrichtungen") können eigenständiger darüber entscheiden, wofür sie das ihnen zur Verfügung stehende Geld ausgeben.
Mehr vom Einkommen. Weniger zum Offenlegen.
Früher musste ein sehr großer Teil des Einkommens und Vermögens von der Person selbst sowie von dessen (Ehe-) Partner eingesetzt werden. Dies wurde mit dem BTHG geändert. In der Eingliederungshilfe gibt es bei der Heranziehung von Einkommen und Vermögen deutliche Verbesserungen für die Betroffenen. Einkommen und Vermögen von Ehe- oder Lebenspartnern werden nicht mehr angerechnet. Und auch für eigenes Einkommen und Vermögen sind die Freiräume nun um ein Vielfaches größer.
Mit Wirkung zum 1. Januar 2020 ist der Beitrag vollständig gestrichen worden, den Eltern zu den Eingliederungshilfeleistungen ihrer volljährigen Kinder mit Behinderungen (z. B. für Assistenzleistungen) zu leisten haben. Die Unterhaltsheranziehung von Kindern pflegebedürftiger Eltern und von Eltern von volljährigen Kindern mit Behinderungen ist aufgrund des Angehörigen-Entlastungsgesetzes bis zu einem Jahreseinkommen von 100.000 Euro in der gesamten Sozialhilfe sowie dem Sozialen Entschädigungsrecht ausgeschlossen.
Mehr mitbestimmen. Vertretungsrechte stärken.
Die Mitbestimmung von Menschen mit Behinderungen in den Schwerbehindertenvertretungen der Betriebe wurde durch mehr Ansprüche auf Freistellungen und Fortbildungen verbessert. In den Werkstätten für behinderte Menschen haben die Werkstatträte mehr Rechte erhalten. Daneben wurde die Position einer Frauenbeauftragten geschaffen, um geschlechtsspezifischer Diskriminierung besser entgegentreten zu können.
In jeder Werkstatt für behinderte Menschen muss nun eine Frauenbeauftragte gewählt werden. Die Rechte von Menschen mit Behinderungen können dadurch stärker vertreten werden.
Mehr Leistungs- und Qualitätskontrolle.
Im Vertragsrecht wurden bessere Möglichkeiten für effektivere Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen geschaffen. Mit der Einführung eines gesetzlichen Prüfrechts wird sichergestellt, dass der Leistungserbringer seine gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen erfüllt. Dementsprechend wurden gleichzeitig die Sanktionsmöglichkeiten bei Verletzung vertraglicher oder gesetzlicher Pflichten erweitert.
Werden bei einem Leistungserbringer erhebliche Mängel z. B. bei der Versorgung der Menschen mit Behinderung festgestellt, können gezahlte Vergütungen zurückgefordert werden bis hin zu einer Kündigung der Leistungserbringungsvereinbarung.