- Datum:
- 11.02.2019
Deutschen Handwerkszeitung (DHZ): Herr Heil, Sie planen eine teure Grundrente und wollen Hartz IV abmildern. Will die SPD so bei den Wahlen im Osten punkten?
Hubertus Heil: Als Bundesminister bin ich der festen Überzeugung, dass wir in diesem Land Dinge erneuern und zum Guten verändern müssen. Wir müssen den Alltag von Menschen konkret verbessern und dadurch die Gesellschaft zusammenhalten. Und das mache ich auch am Thema Grundrente oder an der Altersvorsorgepflicht für Selbstständige fest.
DHZ: Was schlagen Sie konkret bei der Grundrente vor?
Heil: Jemand, der Jahrzehnte lang hart, aber zu niedrigen Löhnen gearbeitet hat, hat das Recht, deutlich mehr Rente zu bekommen als jemand, der nicht gearbeitet hat. Das ist eine Frage des Respekts vor Lebensleistung. Ein Beispiel: Eine Friseurin hat 40 Jahre lang auf Mindestlohnbasis geackert – und bekommt nach heutigem Recht eine Rente von 514 Euro. Das finde ich für ein ganzes Leben voller Arbeit respektlos und unwürdig. Nach meinem Modell bekommt sie 961 Euro Grundrente – ohne beim Amt Einkommen und Vermögen offen legen zu müssen. Das Kernversprechen des Sozialstaats ist: Nach einem Leben voller Arbeit bekomme ich eine leistungsgerechte Rente. Darauf müssen sich die Menschen wieder verlassen können.
DHZ: Wie sieht der zeitliche Rahmen aus?
Heil: Wir werden jetzt mit dem Koalitionspartner darüber sprechen. Ziel ist, dass wir die Grundrente bis zum Sommer im Kabinett beschließen. Die Grundrente soll spätestens Anfang 2021 in Kraft treten und drei bis vier Millionen Menschen erreichen – Neurentner und Bestandsrentner. Und weil besonders Frauen und Menschen aus Regionen, wo dauerhaft niedrige Löhne gezahlt wurden, davon profitieren werden, ist sie ein wirksamer Beitrag im Kampf gegen drohende Altersarmut.
DHZ: Und was haben Sie bei der Vorsorgepflicht von Selbständigen im Sinn?
Heil: Wir müssen einen Weg finden, vor allem diejenigen Selbständigen - auch im Handwerk - einzubeziehen, die bisher gar nicht für das Alter abgesichert sind. Denn sie laufen später in die Grundsicherung. Und die bezahlen schließlich auch diejenigen über ihre Steuer, die heute selbst für ihr Alter vorsorgen. Das wollen wir mit Augenmaß ändern. Es soll zudem eine "Opt-Out-Regelung" geben, sodass die Betroffenen selbst entscheiden können, ob sie sich in der gesetzlichen Rentenversicherung oder in einer vergleichbaren privaten Versicherung absichern wollen. Außerdem soll das Ganze gründerfreundlich sein. Unser Ziel muss sein, dass alle Selbständigen irgendeine Form von mündelsicherer Altersvorsorge haben.
DHZ: Kommen wir zum Arbeitsmarkt. Trotz abflauender Konjunktur ist er nach wie vor in Höchstform. Könnte da der Arbeitslosenbeitrag nicht noch einmal gesenkt werden?
Heil: Es stimmt, seit der Wiedervereinigung hatten wir noch nie so wenig Arbeitslose. Im Jahresdurchschnitt lag die Arbeitslosenquote bei 5,2. Auch deshalb haben wir ja gerade die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozentpunkte gesenkt. Ich bin aber vorsichtig, die Beiträge noch weiter runterzufahren. Zum einen braucht die Bundesagentur für Arbeit Rücklagen, sollte es durch weltwirtschaftliche Risiken zu einem Konjunktureinbruch kommen. Zum anderen wollen wir mit dem neuen Qualifizierungschancengesetz verstärkt in Weiterbildung investieren um, Menschen in Arbeit zu halten.
DHZ: Schön, dass Sie die Weiterbildung unterstützen wollen. Die Frage ist nur: Welcher Handwerker kann derzeit seine Mitarbeiter mehr als vier Wochen auf eine Schulung schicken? Und mancher fragt sich, ob er so nicht die Weiterbildung von Großbetrieben mitfinanziert.
Heil: Tatsache ist, dass wir durch Digitalisierung und Automatisierung großen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt gegenüberstehen. Ich will mithelfen, dass wir diesen Strukturwandel auf allen Ebenen schaffen. Deshalb übernehmen wir ja gerade bei kleinen Betrieben mit weniger als zehn Mitarbeitern die vollen Lehrgangskosten während der Weiterbildung und bis zu 75 Prozent des Arbeitsentgeltes. Für Unternehmen mit zehn bis 249 Mitarbeitern übernehmen wir noch die Hälfte der Lehrgangs- und der Lohnkosten. Bei größeren ist es entsprechend weniger. Die Arbeitsagenturen achten darauf, dass bei der Förderung die unterschiedlichen Betriebsgrößen angemessen berücksichtigt werden. Und als Hinweis: Weiterbildung lässt sich auch modular organisieren und beispielsweise in auftragsschwächeren Zeiten durchführen.
DHZ: Zum neuen Jahr haben Sie der Langzeitarbeitslosigkeit den Kampf angesagt. Das Handwerk befürchtet, dass mit subventionierten Arbeitskräften den normalen Betrieben Konkurrenz gemacht wird.
Heil: Wir wollen, dass Menschen, die trotz des Aufschwungs seit Jahren arbeitslos sind und auf dem freien Markt keine Chance haben durch eine geförderte Beschäftigung auch in ganz normalen Betrieben eine neue Perspektive bekommen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie die vorhandenen Fachkräfte durch Hilfstätigkeiten gut entlasten können, sobald sie dort Fuß gefasst haben. Wir unterstützen das mit gezieltem Coaching, nehmen insgesamt für den sozialen Arbeitsmarkt vier Milliarden Euro an Steuermitteln in die Hand. Wenn wir auch mit dem sozialen Arbeitsmarkt dann bis Ende 2021 die Zahl der Langzeitarbeitslosen weiter verringern könnten, wäre das ein großer Schritt.
DHZ: Angesichts des massiven Fachkräftemangels will Schwarz-Rot auch mit einem Fachkräfteeinwanderungsgesetz gegensteuern. Anfang 2020 soll es soweit sein. Schon gibt es massive Warnungen vor Missbrauch. Können Sie das ausschließen?
Heil: Ich denke, wir haben genügend Regelungen gefunden, um Missbrauch zu vermeiden. Wir müssen uns viel eher Gedanken machen, wie wir überhaupt qualifizierte Fachkräfte bekommen. Wir wollen schließlich nicht nur hochqualifizierte Akademiker nach Deutschland holen, sondern auch beruflich Qualifizierte, die wir dringend brauchen – zum Beispiel im Handwerk.
DHZ: Wie sehen die Regelungen gegen Missbrauch aus?
Heil: Wir wollen keine Zuwanderung in die Sozialsysteme. Wer kommen will, muss deutsch sprechen und beruflich qualifiziert sein. Da nicht jedes Land dual ausbildet, werden aber auch Nachqualifizierungen möglich sein. Wer noch keine konkrete Stelle hat, soll sechs Monate zur Arbeitsplatzsuche kommen dürfen. In dieser Zeit muss aber jeder den Lebensunterhalt selbst bestreiten. Sollte es dennoch irgendwo Fehlentwicklungen geben, können wir die Vorrangprüfung schnell wieder einführen. Für eine vernünftige Fachkräftezuwanderung brauchen wir aber noch mehr: Wir brauchen gezielte Anwerbestrategien, schnellere Visaverfahren, einfachere Anerkennung beruflicher Qualifikationen. Das müssen wir alle gemeinsam anpacken.
DHZ: Viele Handwerker haben Geflüchtete eingestellt. Was passiert mit denen, die nur geduldet sind?
Heil: Ich möchte auch nicht, dass wir die Falschen abschieben. Wer hier arbeitet, wer hier integriert ist, wer deutsch spricht, wer sich nichts zuschulden kommen lässt, der muss eine Perspektive bekommen. Das wollen wir mit dem Beschäftigungsduldungsgesetz erreichen. Für Auszubildende verankern wir eine bundeseinheitliche 3+2-Regelung und zwar nicht auf dem restriktivsten Niveau. Außerdem wollen wir eine Verbesserung für alle Geduldeten, die schon länger hier arbeiten. Sie sollen eine Beschäftigungsduldung von 30 Monaten bekommen mit der Aussicht auf einen dauerhaften Status. Das ist der gemeinsame Vorschlag von Innenminister Horst Seehofer und mir, der jetzt neben dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz im Bundestag beschlossen wird und Anfang 2020 in Kraft treten soll.
DHZ: Wir hören, dass mittlerweile rund ein Drittel der Geflüchteten erwerbstätig ist. Was halten Sie in den nächsten zwei Jahren für möglich?
Heil: Das ist schwer zu sagen. Dreh- und Angelpunkt ist immer noch die Sprache. Sicher ist aber, dass wir erfolgreicher sind, als viele Experten noch vor ein oder zwei Jahren gedacht haben. Offensichtlich kann man die Leute brauchen. Viele Geflüchtete haben insbesondere im Handwerk eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden. Mitte letzten Jahres waren es hier rund 29.000 – rund zwölf Prozent der 245.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus den wichtigsten Asylherkunftsländern. Das sagt viel über die Integrationskraft des Handwerks, das ja auch viele Geflüchtete ausbildet. Das ist eine Riesenleistung. Davon können sich einige Großkonzerne eine Scheibe abschneiden.
DHZ: Anderes Thema: Derzeit wird verschärft über Hartz IV debattiert. In der SPD wächst der Druck, die Sanktionen zu lockern oder gar zu streichen. An welcher Stelle werden sie dem nachgeben?
Heil: Ich will den Sozialstaat weiterentwickeln. Und da sind wir schon voll dabei. Dazu gehört vor allem der soziale Arbeitsmarkt für langzeitarbeitslose Menschen. Dazu gehört zweitens das Starke-Familien-Gesetz, das ich gemeinsam mit Familienministerin Franziska Giffey auf den Weg gebracht habe. Dabei unterstützen wir über einen erhöhten Kinderzuschlag und einem verbesserten Bildungspaket Niedrigverdiener und Aufstocker. Drittens müssen wir die gesellschaftliche Debatte um Hartz-IV entgiften.
DHZ: Das heißt?
Heil: Seit 15 Jahren wird diese Debatte mit einer unglaublichen Härte geführt. Die einen stellen alle Hartz-IV-Empfänger unter Generalverdacht. Sie gehen davon aus, dass diese Leute nicht arbeiten wollen. Was nicht stimmt. Die meisten Arbeitslosen wollen arbeiten. Die anderen sehen jede Mitwirkungspflicht als Anschlag auf die Menschenwürde. Beide Extreme sind falsch. Ich möchte so viel Ermutigung und Unterstützung wie möglich. Natürlich brauchen wir Mitwirkungspflichten aber Sanktionen sind für mich kein Selbstzweck. Wo sie nichts bringen, aber Menschen verängstigen, sollte man sie abschaffen. In Zeiten großer Wohnungsnot halte ich es für falsch, Zuschüsse zum Wohnen zu streichen. Wenn aber jemand dauerhaft nicht zum Jobcenter-Termin kommt, sollte das Konsequenzen haben.
DHZ: Kommen wir zu Ihrer Partei. Die SPD dümpelt in den Umfragen seit einigen Monaten bei rund 15 Prozent. Offensichtlich erreicht sie ihre klassische Wählergruppe nicht mehr: die Arbeiter. Hat sich die SPD zu sehr um die Leistungsbezieher und zu wenig um Arbeitnehmer gekümmert?
Heil: Mein Bild ist ein anderes: Ich komme aus Niedersachsen und da ist die SPD mehrheitsfähig. Wir haben mit guter Politik überzeugt und die Landtagswahl gewonnen. Die SPD ist schon lange eine Volkspartei und eben eine Partei der Arbeit: Wir konzentrieren uns nicht auf eine Gruppe in der Gesellschaft, sondern auf diejenigen, die etwas leisten. Ganz gleich, ob Handwerker oder andere Selbstständige, ob Arbeitnehmer oder Beamte. Und wir organisieren Solidarität mit Menschen, die es nicht leicht haben. Noch einmal: Eine Partei wie die SPD muss einen Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft leisten. Was ich in Deutschland nicht will, sind Gelbwesten-Auseinandersetzungen wie in Frankreich. Sondern ich will Chancen und Schutz für Arbeit im Wandel.