- Anfang:
- 10.09.2024
- Redner*in:
- Bundesminister Hubertus Heil
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir leben ohne Zweifel in stürmischen Zeiten: in Zeiten rasanter Veränderungen. In Zeiten, in denen Entwicklungen sich auch widersprüchlich zeigen. Das zeigt sich vor allen Dingen am deutschen Arbeitsmarkt. Auf der einen Seite haben wir einen hohen Stand an Beschäftigung, den höchsten Stand in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: über 35 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, 46 Millionen Erwerbstätige. Wir haben nicht mehr die Massenarbeitslosigkeit der Vergangenheit.
Aber auf der anderen Seite machen sich viele Menschen in vielen Branchen aktuell Sorgen um die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze. Ich will mal drei Beispiele nennen, die im Moment viele Menschen bewegen. Die aber vor allen Dingen für die industrielle Basis stehen. Ich denke beispielsweise an die Kolleginnen und Kollegen bei ZF. An die Kolleginnen und Kollegen bei ThyssenKrupp. Und auch an diejenigen, die bei Volkswagen und eben der dazugehörigen Zulieferindustrie arbeiten.
Deshalb eine klare Ansage an dieser Stelle: In diesen Fällen ist es jetzt notwendig, sozialpartnerschaftliche Lösungen zu finden. Es ist die Stunde der Mitbestimmung und der Sozialpartnerschaft. Ich sage das auch deshalb, weil das dieses Land stark gemacht hat! Und weil es nicht angehen kann, dass auf der einen Seite einige Konzerne in der Vergangenheit große Dividenden ausgeschüttet haben, dann Managementfehler passiert sind und jetzt allein die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Zeche zu zahlen haben. Die Arbeitnehmer sind bereit zu Lösungen! Aber jetzt ist die Zeit, sich an den Tisch zu setzen und solche Lösungen auch zu finden.
Und die Botschaft ist ganz klar: Standorte sichern und betriebsbedingte Kündigungen vermeiden.
Das ist ja der Fall: Bei ThyssenKrupp hat es zweifelsohne in der Vergangenheit beim Vorgängermanagement Versagen gegeben.
Da ist Geld in Brasilien verbrannt worden mit gigantischen Projekten, die nichts geworden sind. Und man kann auch bei Volkswagen nicht ganz umhin, zu erkennen, dass man sich jahrelang auf den Erfolgen der Vergangenheit ausgeruht hat. Dass andere besser geworden sind. Und dass man zu spät angefangen hat, auf Modelle zu setzen, die die Verbraucherinnen und Verbraucher nachfragen.
Es ist jetzt wichtig, einen Interessenausgleich zu finden. Noch mal: Das ist eine schwierige Situation. Da geht es um Standorte, Beschäftigung, Technologien sowie Know-how, das daran hängt. Und bevor die Opposition sich darüber beklagt: Auch wir als Bundesregierung übernehmen unseren Part und unsere Verantwortung. Wir haben die Verantwortung, zuzugucken, dass dieses Land ein starkes Industrieland bleibt.
Der Staat kann in einer sozialen Marktwirtschaft nicht für jeden Managementfehler mit Steuergeld einstehen. Aber er wird nicht tatenlos zusehen.
Deshalb verbessern wir die Standortbedingungen in diesem Land.
Wir haben die EEG-Umlage gesenkt. Wir ergreifen mit dem Wachstumspaket die richtigen Initiativen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu stärken. Wir unterstützen Unternehmen - übrigens auch ThyssenKrupp - mit Milliarden im technologischen Wandel. Auf dem Weg in die Zukunft.
Ich sage das auch für die aktive Arbeitsmarktpolitik: Wir haben Instrumente geschaffen, um in solchen Situationen unterstützen zu können: nicht nur mit dem konjunkturellen Kurzarbeitergeld, wenn es notwendig ist. Sondern auch mit dem Transformationszuschuss oder dem Qualifizierungsgeld. Ich sage an dieser Stelle: Die Lösung der Zukunft ist nicht Sicherheit vor dem Wandel, für kein Unternehmen. Das kann kein Staat in der sozialen Marktwirtschaft garantieren. Aber wir werden alles dafür tun - wenn ich „wir“ sage, meine ich die Verantwortung von Management, von Gewerkschaften und Staat in der sozialen Marktwirtschaft -, damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land eine gute Zukunft haben. Es geht nicht um Sicherheit vor dem Wandel. Aber wir müssen für Sicherheit im Wandel sorgen, meine Damen und Herren.
Wenn wir über die Zukunft der Arbeit reden, dann reden wir auch über die Arbeits- und Fachkräftesicherung. Heute habe ich nicht die Zeit, all die Instrumente zu nennen, die wir auf den Weg gebracht haben: von der Aus- und Weiterbildung über die Frage der Erwerbsbeteiligung von Frauen, die Beschäftigungsfähigkeit Älterer bis zur Notwendigkeit qualifizierter Zuwanderung. Die gute Lage am Arbeitsmarkt ist der Beginn der Aufgabe der Arbeits- und Fachkräftesicherung. Hinzu kommt der demografische Wandel in den nächsten Jahren.
Aber wenn es um die Zukunft der Arbeit geht, meine Damen und Herren, Herr Präsident, dann müssen wir nicht nur dafür sorgen, dass wir in diesem Land gute Arbeitsplätze haben! Sondern auch dafür, dass die Menschen von der Arbeit auch leben können! Dass es gute Arbeits- und Lohnbedingungen in diesem Land gibt.
Deshalb - auch aus aktuellem Anlass - ein paar Dinge in diesen Bereichen: Es wurde und wird seit vielen Jahren intensiv auch in diesem Parlament über den gesetzlichen Mindestlohn diskutiert. Heute können wir feststellen: Es war richtig, ihn 2015 einzuführen. All die Horrorszenarien über den Untergang der Arbeitsplätze haben sich nicht ergeben.
Er hat unserer Volkswirtschaft genutzt. Er hat auch die Kaufkraft gestärkt. Und es war auch richtig, dass wir in dieser Legislaturperiode den Mindestlohn auf 12 Euro deutlich gesteigert haben.
Jetzt will ich Ihnen eines sagen: Es ist auch richtig, dass sich diese Lohnuntergrenze weiterentwickeln muss. Das ist Aufgabe der Mindestlohnkommission. Die Mindestlohnkommission ist unabhängig.
Aber sie ist nicht unabhängig von Recht und Gesetz. Es gibt Kriterien im deutschen Gesetz, auf deren Basis die Mindestlohnkommission gehalten ist, in der ersten Jahreshälfte nächsten Jahres Empfehlungen zu geben, wie es 2026 weitergehen wird.
Neu ist das europäische Recht mit einem Kriterium, das zu berücksichtigen ist. Darauf habe ich hingewiesen. Weil ich der Europäischen Kommission nicht im November melden will, dass wir das deutsche Gesetz ändern müssen, um es an europäisches Recht anzugleichen. Es bleibt bei dem Gesetz. Und ich werde der Europäischen Kommission melden können, dass das deutsche Gesetz auch tatsächlich den europäischen Vorgaben entspricht, wenn man europäisches Recht bei der Findung des Mindestlohns berücksichtigt. Zu Deutsch: Im Jahre 2026 muss der Mindestlohn deutlich steigen, weil es um armutsfeste Mindestlöhne geht. Menschen müssen von der Arbeit leben können, wenn sie Vollzeit arbeiten.
Rede des Bundesministers für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, zur Sicherung von Arbeitsplätzen und Anpassung an den wirtschaftlichen Wandel am 10.09.2024
Video der Rede
Klare Ansage: Auch diejenigen, die mit mir der Meinung sind, dass Arbeit den Unterschied macht, dass Arbeit sich lohnt, dass es um Leistungsgerechtigkeit geht, müssen wissen, dass 20 Prozent der Menschen, die als Erwerbsfähige Bürgergeld beziehen, sogenannte Aufstocker sind. Das sind fleißige Menschen, die arbeiten. Wenn man dafür sorgen will, dass die von ihrer Arbeit leben können und nicht auf Transfer angewiesen sind, dann sind zwei Dinge wichtig: erstens mehr Chancen, auch auf Vollzeitarbeit. Aber zweitens auch eine Zurückdrängung des Niedriglohnsektors durch eine Weiterentwicklung der Lohnuntergrenze. Deshalb, meine Damen und Herren: Damit Arbeit sich lohnt, muss der Mindestlohn in Deutschland steigen.
Nun habe ich viele Menschen getroffen, die sagen: Ja, ihr redet immer über den Mindestlohn, aber es ist doch so: Ich habe eine ordentliche Qualifikation, und für den Mindestlohn tut ihr was. Aber wo ist denn der Lohnabstand zu meiner Lebensleistung? - Das ist ein Thema, das viele in der Wirtschaft, in der Gesellschaft umtreibt. Deshalb sage ich ganz klar: Der Mindestlohn hat allen geholfen, weil er das allgemeine Lohn- und Gehaltsniveau gehoben hat.
Aber der Mindestlohn ist - so gut er ist - immer nur eine Lohnuntergrenze. Deshalb ist es wichtig, der Tatsache ins Auge zu schauen, dass wir die Tariflöhne in diesem Land stärken müssen.
Nur noch 52 Prozent der Beschäftigten in Deutschland sind unter dem Dach eines Tarifvertrages. Und bei Tarifen geht es eben nicht, wie viele denken, um Handyverträge! Sondern um bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen. Der Staat kann und darf keine Tarifverträge machen, außer in seinem eigenen Geltungsbereich. Aber er muss Anstöße für mehr Tarifbindung in Deutschland geben. Deshalb bin ich entschlossen, dass wir das, was wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben, was wir auch in der Wachstumsinitiative bekräftigt haben, in dieser Legislaturperiode noch hinbekommen: nämlich ein Tariftreuegesetz, das dafür sorgt, dass öffentliche Aufträge des Staates nur an diejenigen gehen, die nach Tarif bezahlen. Das ist nicht nur gut für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es sorgt auch für fairen Wettbewerb für Unternehmen, die ihre Leute anständig nach Tarif bezahlen.
Wenn wir über Leistungsgerechtigkeit reden, meine Damen und Herren, dann müssen wir auch über die Alterssicherung reden. Darüber ist eben beim Finanzplan zu Beginn der Haushaltsdebatte schon gesprochen worden. Aber ich will das auch an dieser Stelle tun. Diese Bundesregierung hat sich vorgenommen, in allen drei Säulen der Alterssicherung für Erneuerung zu sorgen. Damit sich alle Generationen auf das System der Alterssicherung verlassen können. Der Bundesfinanzminister arbeitet mit Hochdruck an einer Reform und der Förderung der privaten Altersvorsorge. Das ist richtig so; dabei hat er meine absolute Unterstützung.
Der Bundesfinanzminister und ich arbeiten zusammen auch an einer Stärkung von Betriebsrenten - der Vorschlag wird in Kürze im Kabinett sein. Weil wir wollen, dass mehr Menschen eine Betriebsrente beziehen können. Übrigens auch Menschen mit geringerem Einkommen.
Aber so wichtig die private und die betriebliche Altersvorsorge sind: Für die allermeisten Menschen ist die gesetzliche Rente das Fundament ihrer Alterssicherung. Übrigens vor allen Dingen in Ostdeutschland, auch aus historischen Gründen. Deshalb ist es ganz klar richtig, dass wir im Bundeskabinett beschlossen haben, mit dem Rentenpaket II dafür zu sorgen, dass wir dauerhaft das Rentenniveau für alle Generationen sichern, nicht nur für die Rentnerinnen und Rentner von heute. In der aktuellen Debatte stört mich eins: In mancher Berichterstattung wird so getan, als sei die Rente irgendein Almosen des Staates. Die Rente ist ein Anspruch, den sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch ihre fleißige Arbeit im Leben erworben haben.
Die Rente steht den Menschen zu! Und deshalb wollen wir das Rentenniveau dauerhaft für alle Generationen sichern, meine Damen und Herren. Und wir sind entschlossen, das umzusetzen.
Zum Schluss: Es gibt einige, die sagen, da gebe es angesichts der Demografie nur eine Möglichkeit: nämlich immer länger arbeiten für alle. Ich kann es nur ganz deutlich sagen: Das gesetzliche Renteneintrittsalter wird auf 67 steigen. Wir sind für flexible Übergänge. Wir setzen jetzt auch Anreize, dass Menschen, wo immer es geht, freiwillig länger arbeiten. Aber das gesetzliche Renteneintrittsalter für alle auf 69 oder 70 zu setzen, wäre nichts anderes als eine Rentenkürzung! Und deshalb wird es das mit dieser Bundesregierung nicht geben.
Ich habe in diesem Sommer, wie viele von Ihnen, mit vielen Bürgerinnen und Bürgern gesprochen. Ich habe mit Handwerkern gesprochen, die händeringend Fachkräfte suchen. Das ist das große Thema der Arbeitsmarktpolitik! Ich habe mit Beschäftigten in der Automobilindustrie gesprochen, die sich Sorgen machen. Ich habe auch mit Rentnerinnen und Rentnern sowie Arbeitnehmern, die demnächst in Rente gehen wollen, darüber gesprochen, ob sie sich noch auf einiges verlassen können.
Unsere Aufgabe als Bundesregierung - der stelle ich mich als Arbeitsminister, und der stellen wir uns auch gemeinsam bei allem Streit in dieser Koalition - ist es nicht, ewig zu streiten.
Sondern unsere Aufgabe ist es, nach intensiven Debatten zu Lösungen zu kommen. Ich bin entschlossen, dass wir das tun: in der Arbeitsmarktpolitik, bei der Rente und auch bei der Frage, wie wir in diesem Land zu anständigen Löhnen kommen. Das kennzeichnet unsere Politik, und der Verantwortung stelle ich mich.
Herzlichen Dank.