Von mehreren Ländern ist die Frage aufgeworfen worden, wie hinsichtlich § 29 BVG zu verfahren ist, wenn eine Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen wird.
Gemäß § 29 BVG entsteht ein Anspruch auf Höherbewertung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) nach § 30 Abs 2 BVG und auf Berufsschadensausgleich frühestens in dem Monat, in dem Maßnahmen zur Reha abgeschlossen werden, wenn solche Maßnahmen erfolgversprechend und zumutbar sind. Diese Bestimmung wurde durch das Achte Gesetz über die Anpassung der Leistungen des BVG vom 14. Juni 1976 (BGBl I S 1481) in das BVG eingefügt und sollte dem Grundsatz des damaligen § 7 Rehabilitationsangleichungsgesetz (RehaAnglG) Rechnung tragen. Dieser besagte, dass Renten wegen MdE (heute: GdS) oder wegen Erwerbsunfähigkeit erst dann bewilligt werden sollen, wenn zuvor Maßnahmen zur Reha durchgeführt worden sind oder wenn ein Erfolg solcher Maßnahmen nicht zu erwarten ist ("Reha vor Rente"). Zudem gibt es im Versorgungsrecht schon seit langem den Grundsatz, dass nicht mit Rente abgefunden werden soll, wem z. B. durch Umschulung geholfen werden kann. § 29 BVG zielt aber nicht darauf ab, rehabilitationsunwillige Beschädigte durch Vorenthalten einkommensabhängiger Leistungen zu bestrafen und auf diese Weise Haushaltsmittel einzusparen. Kommt es dazu, hat die Vorschrift ihr eigentliches Ziel nicht erreicht (BSG-Urteil vom 17.07.2008 - B 9/9a VS 1/06 R). § 29 BVG soll vielmehr sicherstellen, dass zur Schadensminderung verpflichtete Beschädigte zu ihrem eigenen Besten an einer von Amts wegen durchzuführenden beruflichen Rehabilitation mitwirken und so den Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" verwirklichen. Die dazu angedrohte Sanktion (Beginn der in § 29 BVG genannten Leistungen erst nach Abschluss von Rehabilitationsmaßnahmen) kann das Verhalten von Beschädigten (Mitwirkung an den Rehabilitationsbemühungen des Trägers) allerdings auch nur dann dem Normzweck entsprechend steuern, wenn diese von dem drohenden Nachteil wissen.
Eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wird gezahlt, wenn - neben der Erfüllung bestimmter versicherungsrechtlicher Voraussetzungen - der oder die Betroffene wegen Krankheit oder Behinderung nur noch weniger als sechs Stunden täglich (teilweise Erwerbsminderung) bzw. weniger als drei Stunden täglich (volle Erwerbsminderung) eine berufliche Tätigkeit ausüben kann. Da auch in der gesetzlichen Rentenversicherung der Grundsatz „Reha vor Rente“ gilt, wird vor der Rentenbewilligung geprüft, ob die Erwerbsfähigkeit durch medizinische oder berufliche Rehabilitation wieder hergestellt werden kann. Dies könnte ein Argument dafür sein, bei Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung stets davon auszugehen, dass die in § 29 BVG genannten Rehabilitationsmaßnahmen nicht mehr erfolgversprechend und zumutbar sind.
Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass Renten wegen Erwerbsminderung grundsätzlich jeweils auf drei Jahre befristet sind und im Regelfall erst nach Ablauf von neun Jahren unbefristet bewilligt werden können. Zudem sind Hinzuverdienste durch berufliche Tätigkeit möglich. Dies deutet aus meiner Sicht darauf hin, dass insbesondere bei einem Bezug von befristeten Renten wegen Erwerbsminderung die Zumutbarkeit einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme im Sinne von § 29 BVG nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Aber auch der Bezug von unbefristeter Rente wegen Erwerbsminderung führt nicht zu einem solchen Ausschluss. Vielmehr ist auch in solchen Konstellationen gemeinsam mit dem Rehabilitationsträger zu ermitteln, ob im jeweiligen Einzelfall die Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme geprüft worden ist.