- Datum:
- 20.12.2021
Rheinische Post: Herr Heil, Kanzler Scholz hat angekündigt, das Gesetz zur Erhöhung des Mindestlohns werde zeitnah kommen. Wird das Ihre erste Tat sein?
Hubertus Heil: Ja. Ich werde Anfang des Jahres einen Gesetzentwurf vorlegen, um den Mindestlohn im Jahr 2022 auf zwölf Euro zu erhöhen. Davon werden Millionen von Menschen in Deutschland profitieren, übrigens überwiegend Frauen.
Rheinische Post: Kommt der Entwurf im Januar?
Hubertus Heil: Wir machen uns unmittelbar an die Arbeit – und wer uns kennt, weiß, dass wir schnell sein können.
Rheinische Post: Was sagen Sie den Mittelständlern, die sich den höheren Mindestlohn nicht leisten können?
Hubertus Heil: Mich erinnert Ihre Frage an die Untergangsszenarien, die prognostiziert wurden, als der Mindestlohn eingeführt wurde. Heute wissen wir, dass das alles nicht eingetreten ist.
Rheinische Post: …aber die Unternehmen stehen durch Corona unter besonderem Druck!
Hubertus Heil: Das Thema nach der Pandemie wird sein, ob man als Arbeitgeber noch ausreichend qualifizierte Fachkräfte findet. Der höhere Mindestlohn kann da helfen, und nutzt auch der Konjunktur, denn er stärkt die Binnennachfrage. Vom Mindestlohn profitieren Menschen, die ihr Geld nicht in Steuerparadiese im Ausland überweisen, sondern direkt in den heimischen Wirtschaftskreislauf geben.
Rheinische Post: Sie befürchten keine Entlassungen?
Hubertus Heil: Der Arbeitsmarkt wird insgesamt keinen Schaden nehmen. Im Gegenteil, die Volkswirtschaft wird produktiver. Millionen von Menschen bekommen für ihre Arbeit mehr Respekt durch höhere Löhne.
Rheinische Post: Sie greifen aber nur einmal politisch in die Tarifautonomie ein?
Hubertus Heil: Wir haben in der Koalition vereinbart, den Mindestlohn auf 12 Euro zu erhöhen und damit armutsfester zu machen. Die weiteren Erhöhungsschritte folgen dann den Empfehlungen der unabhängigen Mindestlohnkommission.
Rheinische Post: Impfstoffe sind längst da. Wie lange trägt der Staat die Kosten der Pandemie der Ungeimpften noch?
Hubertus Heil: Mit Wirtschaftshilfen und Kurzarbeit stützen wir Geschäftsmodelle, die intakt sind und nur aufgrund von staatlichen Einschränkungen Einbußen hinnehmen müssen. Warum sollen Beschäftigte und Unternehmen, die sich vernünftig verhalten, unter der Unvernunft einer radikalen Minderheit leiden? Die Frage, sich impfen zu lassen, ist nicht nur eine Frage der gesundheitlichen Eigenverantwortung oder der Solidarität mit Vorerkrankten, Kindern und denen, die auf Intensivstationen schuften. Es ist auch eine Frage der wirtschaftlichen Verantwortung. Wir kommen nur mit Impfungen aus dieser Krise heraus.
Rheinische Post: Gefährden die, die nicht geimpft sind, unseren Aufschwung?
Hubertus Heil: Ich will diejenigen, die jetzt noch zweifeln, nicht in eine Ecke stellen, sondern für das Impfen gewinnen. Aber ich habe kein Verständnis für Menschen, die Seite an Seite mit Rechtsradikalen und Quertreibern Polizisten attackieren oder versuchen, demokratische Entscheidungsträger mit Fackelzügen einzuschüchtern. Dagegen muss sich die große Mehrheit der Anständigen und auch der Rechtsstaat mit aller Härte wehren.
Rheinische Post: Die Ampel will Hartz IV zu einem Bürgergeld ausbauen. Ist das der Einstieg in ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Hubertus Heil: Nein, aber wir planen mit dem neuen Bürgergeld einen grundlegenden Kurswechsel in der Sozialpolitik, eine große Sozialreform. Das System wird umgebaut, entbürokratisiert und stärker darauf ausgerichtet, Menschen langfristig aus der Arbeitslosigkeit zu holen. Wir sagen: Wenn du ins Bürgergeld rutschst, unterstützen wir dich mit allen Mitteln dabei, langfristig aus der Arbeitslosigkeit zu kommen. Und du musst du dir erst mal keine Sorgen mehr machen, dass du deine Wohnung verlierst.
Rheinische Post: Künftig kann also auch Grundsicherung bekommen, wer in der Beletage der ViIlenvororte wohnt?
Hubertus Heil: Die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen in der Grundsicherung sieht doch ganz anders aus: Es geht darum, dass die Menschen sich voll und ganz darauf konzentrieren können, langfristig aus der Arbeitslosigkeit zu kommen. Dafür befreien wir sie von existenziellen Sorgen um die Wohnung oder die kleinen Ersparnisse. Konkret schaffen wir für zwei Jahre eine Karenzzeit, in der die Angemessenheit der Wohnung nicht überprüft wird und die Kosten der Unterkunft voll erstattet werden. Und wir sind künftig auch großzügiger bei den Ersparnissen. Hier soll die Anrechnung in den ersten zwei Jahren entfallen. Es geht um Ermutigung und Unterstützung, um aus der Langzeitarbeitslosigkeit herauszukommen.
Rheinische Post: …oder eher um Ermutigung, in der Grundsicherung zu verharren?
Hubertus Heil: Nein! Die meisten Menschen wollen arbeiten. Tatsache ist aber auch, dass zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Deshalb ist es richtig, dass wir uns zukünftig zuerst darum kümmern, dass eine Ausbildung nachgeholt wird und nicht die Vermittlung in den erstbesten Hilfsjob im Vordergrund steht.
Rheinische Post: Langzeitarbeitslose müssen also künftig weniger befürchten, in einen Hilfsjob vermittelt zu werden?
Hubertus Heil: Das Nachholen des Berufsabschlusses soll Vorrang haben vor der Vermittlung in prekäre Arbeit. Auch wer zum Beispiel eine Aktivierungsmaßnahme absolviert, soll diese nicht abbrechen müssen für einen Job. Es wird außerdem großzügigere Möglichkeiten beim Zuverdienst geben: Kinder von Grundsicherungsempfängern, die einen Ferienjob haben, werden nicht mehr erleben, dass das gegengerechnet wird. Mit dem Bürgergeld stellen wir das System vom Kopf auf die Füße.