- Datum:
- 05.05.2023
Nordsee-Zeitung: Herr Heil, der Tag der Arbeit war geprägt von der Forderung: Weniger Arbeit für das gleiche Geld und das am besten nur an vier Tagen pro Woche. Gleichzeitig fehlen uns Fachkräfte an allen Ecken und Enden. Wie passt das zusammen?
Hubertus Heil: Es gibt Betriebe, die die Vier-Tage-Woche anbieten, um Fachkräfte zu gewinnen. Und es gibt Branchen, in denen die Vier-Tage-Woche eingesetzt wurde, um Beschäftigung in Krisen zu sichern. Es ist Aufgabe von Gewerkschaften und Arbeitgebern, darüber zu entschieden, wo das sinnvoll ist und wo nicht. Eine klare Vorgabe des Staates kann und wird es nicht geben. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass im Lebensverlauf der Beschäftigten mehr Flexibilität möglich ist.
Nordsee-Zeitung: Ihre Parteivorsitzende Saskia Esken findet die Idee mit der Vier-Tage-Woche aber gut.
Heil: Ich habe auch nichts gegen solche Arbeitszeitmodelle, wo sie sinnvoll und passend sind. Aber es wird keine einheitliche Lösung für den gesamten Arbeitsmarkt geben. Wir haben in Deutschland, was die Sicherung der Fachkräfte angeht, viel größere Baustellen vor der Brust. Mit fast 46 Millionen Erwerbstätigen und rund 34,6 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten haben wir in Deutschland heute so viele Menschen in Arbeit wie noch nie. Gleichzeitig fehlen in vielen Bereichen Arbeits- und Fachkräfte. Dieses Problem wird in Zukunft immer größer, wenn wir jetzt nicht alle Register ziehen. Dazu gehören gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne, aber vor allem Aus- und Weiterbildung und eine höhere Frauenerwerbsbeteiligung. Zusätzlich zu all dem brauchen wir qualifizierte Einwanderung.
Nordsee-Zeitung: Dazu haben Sie und Frau Faeser ein Gesetz angekündigt. Sagen Sie uns drei Gründe, warum sich jemand irgendwo in der Welt für Deutschland statt Großbritannien, die USA oder Kanada entscheiden soll, wo wenigstens Englisch gesprochen wird und die Bürokratie nicht Selbstzweck des Staatswesens ist?
Heil: Ich war neulich bei einem Unternehmen in Brandenburg. Dort gibt es 2000 Beschäftigte aus 50 Nationen. Eine Frau aus China sagte mir, sie sei nach Deutschland gekommen, weil es hier gute Fachhochschulen gebe. Ein Ingenieur aus Großbritannien berichtete, wir seien gute Europäer. Und eine Frau aus Spanien betonte die guten Arbeitsbedingungen im Land. Es gibt also gute Gründe, für Deutschland zu werben. Im Wettbewerb mit anderen Ländern ist unsere Sprache sicher kein Vorteil. Deswegen werden wir liberaler sein, was die Sprachhürden angeht und Bürokratie abbauen.
Nordsee-Zeitung: Was streichen Sie als erstes?
Heil: Wir werden vor allem dafür sorgen, dass nicht nur Akademiker kommen können, sondern auch beruflich Qualifizierte. Die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen ist in Deutschland momentan zu kompliziert. Zukünftig ermöglichen wir, dass beruflich Qualifizierte mit dem Abschluss ihres Heimatlandes und einem Arbeitsvertrag nach Deutschland kommen können, um zu arbeiten. Die Anerkennungsverfahren können dann in Deutschland stattfinden und müssen beschleunigt werden.
Nordsee-Zeitung: Sprechen wir über die Menschen hierzulande. Haben Sie eine Idee, warum die Menschen, nach Corona offenbar verstärkt so eine starke Sehnsucht nach weniger Arbeit und früherem Ausstieg aus dem Arbeitsleben haben?
Heil: Die Statistik bestätigt nicht, was Sie beschreiben. Beispielsweise ist die Beschäftigungsquote der 60- bis 64-Jährigen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Die gute Lage am Arbeitsmarkt ist die Ursache für den Fachkräftemangel. Laut dem Institut für Arbeits- und Berufsforschung fehlen uns bis 2035 sieben Millionen Arbeits- und Fachkräfte, wenn wir nicht alle Potenziale mobilisieren. Der Fachkräftemangel darf nicht dauerhaft zur Wachstumsbremse werden.
Nordsee-Zeitung: Von welchen Potenzialen sprechen Sie genau?
Heil: Es geht neben einer höheren Frauenerwerbsbeteiligung auch darum, ältere Beschäftigte und Menschen mit Behinderungen besser in den Arbeitsmarkt einzubinden. Und vor allem müssen wir die Aus- und Weiterbildung stärken. Wir haben 2,6 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen haben keinen Berufsabschluss. Das können wir uns nicht mehr leisten. Mit der geplanten Ausbildungsgarantie und den Änderungen im Bürgergeld wird sich das ändern.
Nordsee-Zeitung: Der neue "Monitor Ausbildungschancen 2023" der Bertelsmann-Stiftung spricht von einem drastischen Schwund in der dualen Ausbildung, nur die schulische Ausbildung legt ganz leicht zu. Wollen die Jugendlichen nicht mehr in reguläre Ausbildungsverhältnisse?
Heil: Corona hat diese Situation leider noch verschärft. Dabei brauchen wir Master und Meister. Deswegen ist es wichtig, dass wir jungen Leuten früh Angebote zur Berufsorientierung machen. Es ist wichtig, dass sie die Vielfalt bei den Ausbildungsmöglichkeiten kennenlernen und wissen, dass man beispielsweise im Handwerk gutes Geld verdienen kann. Außerdem fördern wir die Mobilität von jungen Leuten, denn nicht in allen Regionen gibt es genügend Ausbildungsplätze.
Nordsee-Zeitung: Was heißt das konkret?
Heil: Der Bund unterstützt Familienheimfahrten. Und er nimmt Geld in die Hand, um Azubiwohnheime zu bauen, damit junge Menschen auch in der Stadt wohnen können, in der sie die Ausbildung absolvieren. Ich finde es gut, dass sich der Bremer Senat stark für Ausbildungen engagiert. Denn die Zahl der ausbildenden Betriebe ist rückläufig. Es geht nicht, dass Unternehmen nicht ausbilden und dann klagen, dass sie keinen qualifizierten Nachwuchs haben.
Nordsee-Zeitung: Können Sie denn verstehen, dass Chefs keine Lust mehr haben auszubilden, wenn die bürokratischen Auflagen so hoch sind und gleichzeitig der Aufwand mit den Azubis so hoch ist?
Heil: Ich bin immer dafür, überflüssige Bürokratie abzubauen. Aber es ist Aufgabe der Unternehmen, sich um das Thema Arbeits- und Fachkräftesicherung zu kümmern. Wir unterstützen sie dabei. Da lobe ich Andreas Bovenschulte, der das erkannt hat.
Nordsee-Zeitung: …und dafür eine Ausbildungsabgabe im Land Bremen verabschiedet hat, bei der alle Unternehmen in einen Topf einzahlen müssen und die, die ausbilden, Geld zurückbekommen. Wäre das auch ein Modell für ganz Deutschland?
Heil: Ich bin nicht dafür, dass es eine Ausbildungsumlage für ganz Deutschland gibt. Wenn die politisch Verantwortlichen in Bremen sagen, dass es regional notwendig ist, dann ist das ein guter Schritt. Bundesweit ist eine Ausbildungsumlage nicht sinnvoll, da die Entwicklungen auf dem Ausbildungsmarkt in den Regionen sehr unterschiedlich sind. Bremen hat sich dafür entschieden, aus den Umlagen die ausbildenden Unternehmen besser zu unterstützen. In der Bauwirtschaft gibt es solche Umlagen schon lange. Das heißt, dass in Branchen und Regionen solche Systeme sinnvoll sein können.
Nordsee-Zeitung: Aber selbst im Land Bremen halten sich freie Ausbildungsplätze und unversorgte Jugendliche fast die Waage. Da verstehe ich den Sinn einer solchen Umlage nicht, die ja sogar ausbildungswillige Chefs bestraft, auch wenn sie alles getan haben, um Azubis zu finden, aber niemand die Arbeit machen möchte.
Heil: Wir brauchen genug Ausbildungsbereitschaft bei Unternehmen und wir brauchen mehr Begeisterung für die berufliche Ausbildung bei jungen Leuten. Ich will nicht, dass wir in Deutschland einen gespaltenen Arbeitsmarkt haben: Auf der einen Seite suchen wir händeringend Arbeits- und Fachkräfte, auf der anderen Seite werden Menschen in der Ecke abgestellt.
Nordsee-Zeitung: Das ist ein Phänomen, in dem wir in Bremerhaven zuhause sind. Und zwar seit Jahren.
Heil: Das weiß ich, und deswegen muss sich das ändern. Dies ist auch ein Grund dafür, warum wir das alte Hartz-4-System abgeschafft haben. Damit sind Menschen ohne Ausbildung vor allem in Hilfsjobs gelandet und waren schnell wieder arbeitslos. Mit dem neuen Bürgergeld hat Ausbildung Vorrang vor Aushilfsjobs. So holen wir Menschen langfristig aus der Arbeitslosigkeit.
Nordsee-Zeitung: Wie genau soll die Ausbildungsgarantie umgesetzt werden? Besonders mit Blick auf die Jugendlichen ohne Schulabschluss, die offensichtlich Schwierigkeiten bei dem Übergang in die Ausbildung haben. Müsste man nicht eher in diesen Übergang investieren?
Heil: Die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter unterstützen junge Menschen gezielt am Übergang von der Schule in den Beruf. Wenn die Ausbildungsplatzsuche trotz aller Bewerbungs- und Vermittlungsbemühungen erfolglos bleibt und Jugendliche in Regionen mit zu wenigen Ausbildungsplätzen wohnen, sollen sie künftig einen Rechtsanspruch auf einen außerbetrieblichen Ausbildungsplatz haben. Was die Gruppe der Jugendlichen ohne Schulabschluss angeht, gibt es einen Rechtsanspruch, dass jeder von ihnen auf das Nachholen des Hauptschulabschlusses vorbereitet werden kann. Außerdem haben wir Anreize geschaffen, dass sich Leistung lohnt. Wer einen Schulabschluss nachholt, bekommt besondere Unterstützung, finanzielle Anreize und vor allen Dingen auch die Zeit, dies zu tun.
Nordsee-Zeitung: Aber der Übergang klappt nicht…
Heil: Deshalb müssen wir den Übergang mithilfe der Jugendberufsagenturen gut organisieren. In der Vergangenheit war es so, dass Jugendliche aufgrund der vielen unterschiedlich zuständigen Rechtskreise oft nicht wussten, an wen sie sich wenden können oder diese Stellen nicht miteinander kommuniziert haben. Mit den Jugendberufsagenturen gibt es nun vielerorts eine Anlaufstelle und in jedem Fall gut abgestimmte Unterstützungsangebote. Dazu kommt, dass wir den Datenaustausch zwischen Schulen und Berufsberatung rechtlich erleichtert haben. Und auch hier lobe ich Bremen. Bremen war das erste Land, das passende landesrechtliche Regelungen geschaffen und den Datenaustausch vorbildlich umgesetzt hat.
Nordsee-Zeitung: Besonders männliche Jugendliche gehen in der Schule häufig verloren und sollen dann über die Schule berufsfähig gemacht werden. Warum haben wir nicht mehr Anreize, das über die betriebliche Ausbildung zu tun und die Ausbildung neu zu gestalten. Etwa in Form von vier statt 3 Jahren für Menschen, die einen längeren Anlauf brauchen, dafür aber im Beruf mehr Zeit dafür zu haben, das nachzuholen, was schulisch benötigt wird?
Heil: Es gibt über die Arbeitsagenturen bereits Instrumente, um Betriebe und Auszubildende zu unterstützen. Etwa das der Assistierten Ausbildung, die sich an junge Leute richtet, die benachteiligt sind. Viele Unternehmen wissen gar nicht, dass es diese Möglichkeit gibt. Das gilt ebenso für die vielen gut ausgebildeten Menschen mit Behinderungen. In diesem Bereich gibt es sehr viele Fördermöglichkeiten. Mit dem neuen Gesetz zum Inklusiven Arbeitsmarkt verstärken wir die Anreize.
Nordsee-Zeitung: Das ist der Bereich Fördern. Andere sagen, sie fordern zu wenig.
Heil: Das stimmt nicht. Es gibt im Rahmen des Bürgergeldes immer noch Mitwirkungspflichten und Leistungsminderungen und das ist auch gut so. Aber wir konzentrieren uns auf die Fälle, in denen es notwendig ist und stellen nicht alle unter Generalverdacht.
Nordsee-Zeitung: Das Bürgergeld gibt es seit Jahresbeginn, Sie haben es als eine der bedeutendsten Errungenschaften in der Sozialpolitik der jüngeren Vergangenheit gefeiert. Wie ist die ehrliche Bilanz nach vier Monaten?
Heil: Wir setzen das Gesetz in zwei Schritten in Kraft. Viele Regelungen wurden zum 1. Januar auf den Weg gebracht. Das hat dank der hervorragenden Arbeit in den Jobcentern gut funktioniert. Zum 1. Juli dieses Jahres kommen die Herzstücke der Reform dazu. Damit bauen wir neue Chancen und Brücken in den Arbeitsmarkt.
Nordsee-Zeitung: Nach unseren Recherchen zeigt sich in der Arbeitslosenstatistik die erste Tendenz, dass die Zahl derer, die an Fördermaßnahmen teilnehmen, zurückgehen. Nicht, weil sie in einem Job gelandet sind, sondern weil sie wegbleiben. Auffällig, z.B. in Bremerhaven, ist dies bei Angeboten zur „Aktivierung und beruflichen Eingliederung“. Jeder Siebte ist nicht mehr dabei. Tritt hier nicht genau das ein, was die Kritiker des Bürgergeldes vorhergesagt haben?
Heil: Nein, dieser Zusammenhang besteht nicht. Die Jobcenter sagen uns, dass 2022 weniger als drei Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigen von Sanktionen betroffen waren. Dabei geht es meistens um Terminversäumnisse. Wenn jemand dauerhaft keine Maßnahmen wahrnimmt, gibt es immer noch Möglichkeiten der Leistungsminderung. Für diejenigen, die lange aus dem Arbeitsleben raus sind, haben wir den Sozialen Arbeitsmarkt geschaffen, der auch in Bremerhaven angewandt wird. Damit bringen wir Leute mit Lohnkostenzuschüssen in reguläre Arbeit.
Nordsee-Zeitung: Bremerhaven, aber auch andere Städte mit hoher Arbeitslosigkeit wie etwa Gelsenkirchen oder Duisburg, haben mittlerweile eine Sogkraft auf Menschen ohne Job/Langzeitarbeitslose, weil die Lebensbedingungen zum einen mit geringem Bargeld (Bürgergeld) dort einfacher sind, und zum anderen durch die große Zahl der Langzeitarbeitslosen, der Animationsdruck für die Arbeitsaufnahme wie der Sanktionsdruck angesichts der sehr großen Fallzahl sehr gering ist. Was kann eine Stadt wie Bremerhaven tun und was kann eine Arbeitsagentur tun?
Heil: Bremerhaven muss Hafen- und Industriestadt bleiben, das schafft gute Arbeitsplätze. Für Bremen war der Erhalt der Stahlwerke in den 1990er Jahren wichtig. Und jetzt hilft man, die Wende zu grünem Stahl hinzubekommen. Eine aktive Industriepolitik und Quartiersarbeit ist wichtig, um Menschen Perspektiven zu geben.
Nordsee-Zeitung: In Bremerhaven liegt die Arbeitslosenquote aktuell wieder bei rund 14 Prozent, rechnet man die Unterbeschäftigten hinzu, sprich diejenigen, die in Beschäftigungsmaßnahmen stecken, sind wir schon bei 18 Prozent der Menschen im arbeitsfähigen Alter. Ziehen wir dort noch all diejenigen ab, die etwa in der Familienphase stecken und deshalb dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, reden wir davon, dass rund jeder 4. Arbeitsfähige nicht arbeitet. Das macht was mit einer Stadt. Was kann man dagegen tun?
Heil: Ich selbst komme aus Peine. Während meiner Kindheit haben dort im Stahlwerk noch 10.000 Menschen gearbeitet, heute sind es 800. Diese Entwicklung kennt man in Bremerhaven auch. Ich finde es gut, dass es hier immer Leute gegeben hat, die ihre Stadt nicht aufgegeben haben. So entstanden Leuchttürme wie die Ansiedlung von Wissenschaft und Museen. Um den Hafen wurde gekämpft. Deshalb muss die Botschaft lauten, nicht aufzugeben, sondern eine aktive Politik zu betreiben, die die Stadt nach vorne führt. Dass das nicht innerhalb von drei Tagen zu schaffen ist, ist klar. Aber Bremerhaven hat sich trotz der Rückschläge gut entwickelt, das darf man nicht vergessen.
Nordsee-Zeitung: Trotzdem haben wir einen dauerhaft hohen Sockel an Langzeitarbeitslosen. Gleichzeitig werden Unsummen in Qualifizierung gesteckt, offenbar aber am Arbeitsmarkt vorbei.
Heil: Wer lange Zeit nicht gearbeitet hat, braucht besondere Unterstützung, um wieder Fuß zu fassen. Deshalb haben wir mit dem Teilhabechancengesetz Instrumente für einen sozialen Arbeitsmarkt eingeführt. Damit erhalten Arbeitgeber, die langzeitarbeitslose Menschen einstellen, Lohnkostenzuschüsse und die betroffenen Menschen ein begleitendes Job-Coaching.
Nordsee-Zeitung: Kommen wir zu denen, die Arbeit haben: Die Welt wird immer digitaler und flexibler und Deutschland beschäftigt sich mit der Stechuhr. Ist die Arbeitszeiterfassung nicht völlig aus der Zeit gefallen?
Heil: Nein, im Gegenteil. Erstens hat das Bundesarbeitsgerichts entschieden, dass Arbeitnehmerinnen und -nehmer ein Recht auf transparente Arbeitszeiterfassung haben. Das dient etwa der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz, denn Arbeit darf nicht krank machen. Ich habe dazu einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der viel Flexibilität erlaubt. So können Unternehmen über Tarifvereinbarungen Ausnahmen schaffen. Auch Vertrauensarbeitszeit wird es weiter geben. Mir geht es darum, Rechtssicherheit für die Beschäftigten und die Arbeitgeber zu schaffen.
Nordsee-Zeitung: Die Arbeitszeiterfassung gilt also auch für Berufe, in denen flexibel oder im Home-Office gearbeitet wird? Wie lässt sich dort die Zeit erfassen?
Heil: In Vereinbarung mit dem Arbeitgeber kann die Regelung getroffen werden, dass die Beschäftigten ihre Arbeitszeit selbst erfassen. Allerdings muss der Arbeitgeber sicherstellen, dass das plausibel ist. Es gibt viele Möglichkeiten der digitalen Zeiterfassung. Es geht bei der Arbeitszeiterfassung keinesfalls darum, die Stechuhr einzuführen.
Nordsee-Zeitung: Laufen wir nicht Gefahr, angesichts der Tarifabschlüsse, die wir haben, dass uns das Thema Lohn-Preis-Spirale wieder in die Entwicklung bringt, wie wir sie in den späten 1970er Jahren hatten?
Heil: Die Tarifabschlüsse haben, obwohl sie verhältnismäßig hoch waren, die Inflation nicht vollständig ausgeglichen. Deshalb hat der Staat unter anderem mit milliardenschweren Entlastungspaketen und Einmalzahlungen für Entlastungen gesorgt. Wir haben auch die Möglichkeit geschaffen, dass Einmalzahlungen bis zu 3.000 Euro steuer- und sozialversicherungsbeitragsfrei bleiben. Die meisten Ökonomen sagen uns, dass die Tarifentwicklung vernünftig verläuft.