In der letzten Länderreferentenbesprechung wurde die Frage der Anwendung des § 149 SGB XIV auf Besitzstandsfälle und dessen Verhältnis zu § 145 Abs. 4 SGB XIV diskutiert und das BMAS um Prüfung gebeten. Ich nehme hierzu wie folgt Stellung:
1. Auslegung des § 149 SGB XIV
Bei § 149 SGB XIV handelt es sich ausschließlich um eine Vorschrift des Besitzstandsrechts. Sie regelt einen der Fälle, in dem es zum Übergang von Besitzstandsfällen in das Recht nach Kapitel 1 bis 22 des SGB XIV kommt.
Gemäß § 149 Abs. 1 SGB XIV führen Neufeststellungen zur Anspruchsberechtigung und zum Grad der Schädigungsfolgen in sog. Besitzstandsfällen (vgl. § 142 SGB XIV) - vorbehaltlich der Regelung in § 149 Abs. 2 SGB XIV - zur Anwendbarkeit der am 1. Januar 2024 in Kraft getretenen Kapitel 1 bis 22 des SGB XIV („neues Recht“)-
Das Tatbestandsmerkmal "Neufeststellungen zur Anspruchsberechtigung" ist im Gesetz nicht näher definiert, sodass dessen Inhalt durch Auslegung zu bestimmen ist. Zu berücksichtigen ist, dass der Gesetzgeber Berechtigten nach § 142 SGB XIV grundsätzlich einen Anspruch auf Besitzstandsschutz eingeräumt hat. Der Vollwechsel in das Recht nach Kapitel 1 bis 22 erfolgt, wenn Berechtigte ihr Wahlrecht ausdrücklich dahingehend ausüben (§ 152 SGB XIV). Dieses Wahlrecht würde ausgehöhlt, wenn jede Änderung bestandskräftiger Verwaltungsakte nach den §§ 44 ff. SGB X zugleich eine Neufeststellung zur Anspruchsberechtigung darstellen würde und damit den Verlust des Besitzstandes zur Folge hätte.
Daher sind Neufeststellungen zur Anspruchsberechtigung i. S. d. § 149 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. SGB XIV nur grundlegende Neufeststellungen, die zu einer Neubewertung der Anspruchsberechtigung, vergleichbar einem Erstantrag oder der Neufeststellung des Grades der Schädigungsfolgen (§ 149 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. SGB XIV), führen. Dies ist etwa der Fall, wenn ein Anspruch auf eine bestimmte Leistung, etwa dem Berufsschadensausgleich, erstmals nach dem 1. Januar 2024 entsteht.
Erfolgt eine Änderung des bisherigen Grades der Schädigungsfolgen, etwa bei einem neuen schädigenden Ereignis, der Anerkennung neuer Schädigungsfolgen oder deren Verbesserung oder Verschlechterung, greift der insoweit speziellere § 149 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. SGB XIV.
Keine Neufeststellungen zur Anspruchsberechtigung i. S. d. § 149 Abs. 1 S. 1 SGB XIV sind zum Beispiel Änderungen, die nur die Leistungshöhe fürsorgerischer Leistungen aufgrund von Änderungen bei den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der berechtigten Person betreffen oder Änderungen aufgrund der Anpassung nach § 150 SGB XIV sowie vergleichbare Fälle. Da solche Änderungen regelmäßig bzw. häufig stattfinden, würde bei anderer Lesart innerhalb kürzester Zeit kaum ein Anwendungsbereich für den Besitzstandsschutz bleiben. Daher ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber in solchen Konstellationen eine zum Wechsel in das Recht nach Kapitel 1 bis 22 SGB XIV führende Neufeststellung i. S. d. § 149 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. SGB XIV gesehen hat.
2. Verhältnis zu § 145 SGB XIV
§ 145 SGB XIV auf der einen und § 149 SGB XIV auf der anderen Seite betreffen unterschiedliche Konstellationen:
§ 145 SGB XIV betrifft ausschließlich befristete oder auf Zeit erbrachte Geld- und Sachleistungen. Können diese nach Kapitel 1 bis 4 und 6 bis 22 SGB XIV erbracht werden und sind diese für die berechtigte Person mindestens gleichwertig, schließt § 145 Abs. 4 SGB XIV die Anwendung der Absätze 1 bis 3 des § 145 SGB XIV aus. Das bedeutet: Wenn die Voraussetzungen des § 145 Abs. 4 SGB XIV vorliegen, ist die betreffende Leistung zwingend nach Kapitel 1 bis 4 bzw. 6 bis 22 SGB XIV zu erbringen, vgl. Gesetzesbegründung zu § 145 Abs. 4 SGB XIV. Eine Prüfung nach § 149 Abs. 2 SGB XIV findet nicht statt.
Die Erbringung einer Leistung nach § 145 Abs. 4 i. V. m. Kapitel 1 bis 4 und 6 bis 22 SGB XIV stellt jedoch keinen Vollwechsel in das "neue" Recht dar - die betroffene Person erhält weiterhin Leistungen des Besitzstandes nach Kapitel 23 SGB XIV; lediglich diejenigen Leistungen, die nach Kapitel 1 bis 4 und 6 bis 22 SGB XIV erbracht werden können und für die berechtigte Person mindestens gleichwertig sind, werden nach Kapitel 1 bis 4 und 6 bis 22 SGB XIV erbracht. Ein umfassender Übergang des Besitzstandsfalls in das Recht der Kapitel 1 bis 22 SGB XIV wird hierdurch nicht ausgelöst
Soweit die Leistungen im Sinne des § 145 SGB XIV nicht bzw. nicht mindestens gleichwertig nach neuem Recht erbracht werden können, gelten die Absätze 1 bis 3 des § 145 SGB XIV. Die befristeten oder auf Zeit erbrachten Leistungen, die es in den Kapiteln 1 bis 4 und 6 bis 22 SGB XIV nicht gibt oder die für die Berechtigten nicht mindestens gleichwertig sind, etwa die Hilfe zur Pflege, können nach Maßgabe dieser Norm im Besitzstand weiter erbracht werden. Liegen auch hierfür die Voraussetzungen nicht vor, etwa aufgrund eines verfristeten Weiterbewilligungsantrags, ist der Antrag auf diese (Besitzstands-) Leistung abzulehnen. Im Recht des SGB XIV kann sie nicht erbracht werden. Denn die Möglichkeit, eine befristete oder auf Zeit erbrachte Leistung nach den Kapiteln 1 bis 4 und 6 bis 22 SGB XIV zu erhalten, ansonsten aber im Besitzstand nach Kapitel 23 zu verbleiben, ist nur in den Fällen des § 145 Abs. 4 SGB XIV vorgesehen.
Liegen die Voraussetzungen des § 145 Abs. 4 nicht vor und wäre der Antrag nach § 145 Abs. 1-3 SGB XIV, etwa wegen Verfristung, abzulehnen, kann die betroffene Person durch Ausübung ihres Wahlrechts nach § 152 SGB XIV aus dem Besitzstand in das "neue" Recht wechseln und die Leistung nach den Vorschriften der Kapitel 1 bis 4 und 6 bis 22 SGB XIV beantragen. Diese Option kommt dann in Betracht, wenn es die fragliche Leistung in den Kapiteln 1 bis 4 und 6 bis 22 SGB XIV zwar gibt, sie jedoch nicht mindestens gleichwertig erbracht werden kann, sodass § 145 Abs. 4 SGB XIV nicht anwendbar ist.
§ 149 Abs. 2 SGB XIV ist weder bei Erbringung einer Leistung nach § 145 Abs. 4 i. V. m. Kapitel 1 bis 4 und 6 bis 22 SGB XIV noch bei einem Wechsel ins "neue" Recht durch Ausübung des Wahlrechts aus § 152 SGB XIV anwendbar. Vielmehr betrifft § 149 Abs. 2 SGB XIV nur den Fall, dass die betroffene Person aus dem Besitzstand des Kapitel 23 SGB XIV in das Recht nach den Kapiteln 1 bis 22 SGB XIV wechselt, und zwar aufgrund einer Neufeststellung nach § 149 Abs. 1 SGB XIV. Können nach den Kapiteln 1 bis 22 SGB XIV (insgesamt) keine oder geringere Leistungen als zuvor nach Kapitel 23 SGB XIV beansprucht werden, werden mindestens die vor der Stellung des Neufeststellungsantrages nach Kapitel 23 SGB XIV bezogenen Leistungen weiter erbracht, es sei denn, es liegt ein Fall des § 149 Abs. 2 S. 2 SGB XIV vor.